Schon bei der Inspektion des Bootes vor dem Kauf letztes Jahr war klar, dass der Anstrich des Unterwassers erneuert werden muss. Meine Vorstellung ist, dass ich abgesehen von üblicher regelmässigen Instandhaltung in den nächsten mindestens 10 Jahren nichts mehr damit zu tun haben will - aus meiner Sicht sandstrahlen und neuer Farbaufbau. Für dese Arbeiten wurde mit von verschiedener Seite die Werft Buitenbeentje in Diksmuide empfohlen, die ich nach einem Besuch, Besichtigung und Vorbesprechung ausgewählt habe. Die Überführungsfahrt dorthin ist der Zweck der Reise, die ich alleine fahren werde.
Meine erste Fahrt mit dem neuen Schiff! Nicht aufgeregt bin ich, aber gespannt und voller Erwartungen...
Nach mehr als einer Stunde Wartezeit, wegen der Einbahnregelung auf Grund der riesigen Oosterweel-Baustelle, schaltet das Lichtsignal im Hafenbecken auf Grün, und die Fahrt kann beginnen. Ungewohnt fühlt es sich an, nach Jahren auf französischen Kanälen gleich auf einer der grössten nautischen 'Autobahnen' Europas zu fahren. Der breite Kanal, die riesigen Schubverbände, die erste Schleuse, Wijnegem, gleich mit knapp 6m Hubhöhe - irgendwie ein Sprung ins kalte Wasser, aber alles passt und es fühlt sich wunderbar an.
Aber schon nach nch 20 Kilometern erscheint an Steuerbord die Schleuse Viersel, und nach der einfachen Schleusung öffnet sich der Netekanal. Da wird es echt gemütlich, ruhig und landschaftlich schön. In Lier ist dann vorerst mal Halt für die erste Nacht.
Kurz nach Lier folgt die Schleuse Duffel; hier geht der Kanal in den Fluss Nete. Nach der Schleusung und einem längeren Gespräch mit dem Schleusenchef staune ich nicht schlecht, dass da fast kein Wasser im Bach ist; erst nach einer Weile realisiere ich, dass ich in Gezeiten-beeinflussten Gewässern bin. So gehts dann zu Tal - von der Nete ganz kurz in die Dijle, dann in die Rupel und letztendlich bei Rupelmonde in die Schelde.
Da gehts es die nächsten paar Kilometer bis Temse, kräftig von der Flut bergauf gespült, ganz flott voran. In Temse ist dann Ende der Fahrt. Ich lege am Steiger der "Koninklijke Temse Watersport Vereniging" für diese Nacht an.
Nach dem "Klar Schiff" ist Einkaufen und Stadtrundgang angesagt. Bemerkenswert sind die beiden Brücken über die Temse und ihre Geschichte. Nachtessen kochen liegt nicht mehrt drin - ich lasse mich kulinarisch verwöhnen im PetiBato, dem Clublokal des Gastgeber-Vereins.
Wo mich gestern Nachmittag die Flut noch zu Berg gespült hat, habe ich jetzt am Morgen die Ebbe + die Strömung gegen mich. Aber der Motor tut seinen Dienst und ich komme zügig voran. Die Schelde ist bei Temse noch anständig breit, wird aber immer schmaler. Trotzdem verkehren noch etliche Frachtschiffe, und nicht etwa diejenigen der kleinen Sorte...
Meine Annahme, dass ich dann vor Gent einen Liegeplatz fände, war falsch. Steiger für Sportboote gibt es nicht, und an irgend einer Spundwand festmachen geht wegen der Gezeiten auch nicht. Also fahre ich weiter bis Gent. Da ich kurz vor dem Eindunkeln und alleine auf dem Schiff nicht mehr quer durch die Stadt fahren will fahre ich auf der Ringvaart weiter. Glücklich, beim netten und hilfsbereiten Hafenmeister in der "Koninklijke Gentse Watersport Vereniging" einen Platz für 2 Nächte zu bekommen, legen wir dort an und ich mich zur Ruhe.
Stadtgang in Gent. Eine schöne Stadt.
Am nächsten Tag regnet es dermassen, dass ich nicht weiterfahren will. Ich habe genügend Zeit und nehme mit einen Tag, um am Schiff das eine und andere zu studieren. Und der Hafenmeister ist gnädig und gibt mir noch einen Tag.
Ein schöner Tag beginnt, drum geht es dann auch weiter. Auf der Ringfahrt um Gent und nachher auf dem Kanal Gent - Oostende herrscht reger Berufs-Verkehr. Trotzdem ist es ein angenehmes Fahren. Vor Brugge wird es kurvig, und da habe ich dann einen Grossen vor mit, der diese Kurven maximal im Schritttempo nehmen kann - überholen geht nicht. Da ist Geduld gefragt - aber wer die auf dem Wasser nicht hat, ist eh verloren.
Ich erreiche Brugge im Feierabendverkehr (auf der Strasse). Das heisst, vor der Brücke eine Stunde warten, da eben der Strassenverkehr Vortritt hat und der Schiffsverkehr nur im Paket passieren kann. Das ist aber o.k., ich habe dadurch Zeit, mir beim Hafenmeister im Coupure Haven einen Platz für 2 Nächte zu reservieren. Und wie ich dort ankomme, ist dann auch alles perfekt vorbereitet.
Nach dem Nachtessen ist es noch angenehm warm, darum mache ich mich auf zu einem Spaziergang 'Brugge by Night' - einfach wundervoll!
Am Morgen ist zuerst mal Wäschetag angesagt, denn der Waschsalon ist gleich um die Ecke. Dann ist Stadtbesichtigung angesagt. Was sich am Vorabend beim Spaziergang abgezeichnet hat bestätigt sich:Brügge ist für mich eine der schönsten Städte! Angeblich von 2 Weltkriegen weitgehend verschont fühlt man sich wie ins Mittelalter zurückversetzt. Ich kann mich fast nicht satt sehen.
Und ja, während einem ganzen Tag in der Stadt bleibt auch genügend Zeit für Belgisches Bier, Fritten und Gaufrettes...
Aus Brugge raus herrscht ziemlicher Gegenverkehr, und die Dampoort-Schleuse ist nicht ganz problemlos zu nehmen. Doch dann läuft es rund und ist ganz gemütlich. Die paar Brücken unterwegs und die beiden Schleusen passiere ich ohne Probleme - leider sind sie alle fernbedient, keine kleinen Schwätzchen mehr mit der Bedienung.
Hinter der Schleuse Sint Joris liegt der Hafen der 'Vlaamse Vereniging voor Watersport Westhoek'. Dort lege ich am Stegkopf an und habe dadurch freie Sicht auf das Spaarbekken Nieuwpoort, das einem kleinen See gleicht.
Während des Abendspaziergangs in die Stadt sehe ich das Schleusenensemble an der IJzer-Mündung und finde ich das Besucherzentrum 'Westfront Nieuwpoort' und beschliesse, es am nächsten Morgen zu besuchen. Zeit habe ich ja, bis Diksmuide sind es nur noch knapp 20 Kilometer.
Nach einem wunderschönen Sonnenaufgang besuche ich das Besucherzentrum 'Westfront Nieuwpoort' und erfahre da viel über die globale und lokale Geschichte rund um den Ersten Weltkrieg. Sehr interessant, aber auch erschreckend. Vom der Galerie auf dem Dach geniesst man eine schöne Aussicht auf das Umland und speziell über die Anordnung der bedeutsamen Schleusen.
Nach dem Einkaufen gehts aufs Schiff, fahrbereitmachen und dann Leinen los Richtung Diksmuide.
Kein Verkehr auf der Ijzer, die Sportbootsaison ist vorbei - so gehts dann gemütlich Richtung Reiseziel Diksmuide. Schöne Landschaften ziehen vorbei, wunderbares Herbstwetter - so soll es sein.
Es ist Freitag, die Verabredung mit der Werft habe ich auf Montag, also habe ich noch 2 Tage Zeit, Klar Schif zu machen und mich in Diksmuide unzusehen.
Diksmuide ist ein hübsches Städtchen, das allerdings nicht sehr viel bietet. Es lag im Ersten Weltkrieg inmitten der Ijzerfront, wurde fast vollständig zerstört, und in den 1920er-Jahren wieder aufgebaut. Der 84 Meter hohe Ijzerturm ist ein Mahnmal für die gefallenen Soldaten, und in seinem Inneren erfährt man im 22-stöckigen Museum viel über die Gegend und den Ersten Weltkrieg.
Der eigentliche Zweck der Reise ist ja der Besuch der Werft Buitenbeentje um das Unterwasser neu zu machen. Also, am Morgen Leinen los und die letzten 500 Meter zur Werft fahren, Gurten anlegen und dann raus aus dem Wasser. Nach dem Abkärchern bestätigt der Fachmann Thijs meine Annahme: zu retten gibt es nicht mehr vieles - Sandstrahlen und die ganze Beschichtung neu aufbauen drängt sich auf.
So bereite ich denn das Schiff für den Winter und einen längeren Aufenthalt auf der Werft vor. Im nächsten Frühling soll es wieder fahrbereit sein und dann heisst es wieder: Leinen los und auf zu neuen Abenteuern!